Bruckners „Achte“ in der Erstfassung im Gewandhaus – „Mehr Bruckner-Expertise geht kaum“

Dennis Russell Davies dirigiert Bruckners Achte im Gewandhaus
Dennis Russell Davies dirigiert beim MDR-Sinfonieorchester Antons Bruckners Achte in der Urfassung, hält dabei das Monumentale im Fluss und lässt Raum für überirdische Schönheit.

(…) Von einer Ausgabe letzter Hand zu sprechen, wird der Sache trotzdem nicht gerecht, weil eine dritte, nach Bruckners Tod entstandene Mischfassung fast genauso oft auf den Dirigentenpulten liegt.

Mehr Bruckner-Expertise geht kaum
Nicht so bei Dennis Russell Davies. Der 74-jährige Amerikaner und derzeitige Chefdirigent der Philharmonie Brünn greift für sein Gastspiel beim MDR-Orchester lieber zur selten aufgeführten Frühfassung von 1887. Beweisen muss er damit niemandem mehr etwas. Denn Davies hat in 15 Jahren beim Bruckner Orchesters Linz sämtliche Sinfonien des Spätromantikers in sämtlichen überhaupt nur denkbaren Fassungen aufgeführt und eingespielt. Mehr Bruckner-Expertise geht kaum.

Bruckner geht in Leipzig immer
Dass Bruckner in Leipzig immer geht, beweist indes der Umstand, dass sich das Gewandhaus außerordentlich gut gefüllt hat für die pausenlose Besteigung dieses sinfonischen Achttausenders. Davies hat sich dafür einen klaren Streckenplan bereitgelegt, der Raum lässt für die überirdischen Schönheiten dieser Musik. Nicht auf die Härten der Partitur legt er es an, nicht auf die schroffen Kontrastwirkungen von brutaler Blechbläser-Wucht und verhauchendem Streicher-Piano. Sein Bruckner klingt selbst in den gewaltigsten Aufschichtungen und gewalttätigsten Ausbrüchen abgerundet, ja beinahe federnd. Davies’ Lautstärkenregie beeindruckt, akustisches Völlegefühl bleibt einem da auch in den brachialen Tutti-Sektionen erspart.

Erstaunlich organisch
Denn es gelingt, bei aller Monumentalität, die Davies auch ausstellt, die Musik in Fluss zu halten, den Solisten um Konzertmeister Andreas Hartmann ihre Freiheiten zu lassen, worüber er den erstaunlich organischen Orchesterklang aber niemals vergisst. Klar bedient er sich dafür auch selbst einiger Tempofreiheiten, staucht und dehnt, wo Binnenzäsuren besonders deutlich ausfallen sollen. Klar ist auch, dass Davies mit dem vehement endenden Scherzo einen gewaltigen Doppelpunkt setzen will für das anschließende Adagio.

Vielleicht der Gipfelpunkt
„Feierlich langsam; doch nicht schleppend“ hat Bruckner über dieses geschrieben. Ein erhabener Musikstrom, so schmerzend wie schön, mündet in den berühmten Beckenschlägen, gewissermaßen der Herzkammer dieser Sinfonie. Wie sich das Melos hier verdichtet, ballt, entlädt und schließlich unmerklich verlöscht, ist vielleicht der Gipfelpunkt von Bruckners Sinfonik überhaupt. Und wird kaum mehr überboten von der großen, bedächtig ausgespielten Themenvereinigung des Finales.

Davies gibt sich bescheiden
Natürlich gelingt in den knapp anderthalb Stunden nicht alles: An den Übergängen verheddern sich die Funkmusiker ein ums andere Mal im polyphonen Stimmgeflecht. Und für sich genommen ist das, was der Holzbläserblock von sich gibt, fast immer zu laut. Doch das tut der Gesamtleistung diesmal wenig und dem bewegten wie begeisterten Beifall gar keinen Abbruch. Dennis Russel Davies hingegen gibt sich bescheiden. Im Schlussapplaus schreitet er, Herbert Blomstedt darin nicht unähnlich, durch die Stuhlreihen und ehrt alle Solisten.

(Werner Kopfmüller, Leipziger Volkszeitung, 11.03.2019)

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